Skalen anwenden I: modales Üben

Tom

Skalen anwenden I: modales Üben

Beitragvon Tom » Sa 1. Jan 2011, 13:59

Hat man einmal mit den Skalen angefangen ist man natürlich versucht, die gewonnenen Kenntnisse über die Tonleitern und ihre dazugehörigen Akkorde so schnell als möglich in die Tat umzusetzen.

Dabei besteht im Prinzip die Möglichkeit, theoretisch zusammengefasst und überblickartig, einer Tabelle gleich alle in der Praxis vorkommenden harmonischen Tatbestände nach Häufigkeit aufzulisten und durchzuarbeiten. Das ist für den Lehrenden zwar einfacher, weil überschaubarer, aber mühsam für den Neuling.

Ich habe ja anfangs die rethorische Frage gestellt: wozu sind Skalen gut?
Und nochmal mit anderen Worten: Sie helfen uns Improvisieren zu Lernen und Gelerntes oder schon vorher Erworbenes und nun Zugeordnetes weiterzuentwickeln; auch, um eine bestimmte eigene „Stimme“ oder eigene „Sounds“ auf harmonische Zusammenhänge bezogen zu entwickeln.

NEU: DAS GILT NATÜRLICH GENAUSO FÜR DAS ERFINDEN VON EIGENER MUSIK IN FORM VON SONGS!!!


Skalen dienen also vereinfacht dazu, Töne zu einem Akkord/einer Akkordverbindung zu finden. Wenn dieser Akkord oder diese Akkordverbindung ohne einen Wechsel in der Tonleiter zu erzwingen eine gewisse, eher längere Zeit „so dahinläuft“, nennt man diese Begleitung/diese Akkordwechsel modal (von „modus“ = Tonleiter). Ein Beispiel wäre Am - D „repeat ad lib“.
Zum anderen findet man bei entsprechender harmonischer Analyse eines Stückes mit mehreren Akkorden, die tendenziell schneller wechseln und vielleicht sogar in verschiedene Tonarten führen (z.B. ältere Popsongs, Schlager oder Jazzstandards), ebenfalls über die Skala die erstmal „richtigen“ Töne zum Improvisieren. Hier untersuchen wir die Skalen im funktionsharmonischen Zusammenhang - besonders beschäftigt man sich dann mit den Dominanten. Dies wird in einem anderen Anwendungsteil besprochen.


In diesem ersten Teil soll es um Improvisation über modale Strukturen gehen. Anders gesagt will ich versuchen, Antworten zu geben auf Fragen wie: „Was könnte ich 30 Minuten lang über Em spielen?“

Bleiben wir gleich bei diesem Beispiel. Die Tonart E (und die Tonart A) hat für uns Gitarristen beim Üben von Skalen einen Vorteil gegenüber anderen Tonarten. Wir können den jeweiligen Basston (e oder a) auf den tiefen Saiten zur Kontrolle bzw. zur Erinnerung manchmal oder öfters immer wieder anzupfen, während wir auf den anderen Saiten die jeweilige Skala üben. So klappt das modale Üben auch ohne Begleitinstrument ganz gut. Der Basston ruft uns unweigerlich vor allem über das Gehör in Erinnerung, wo die Basis der Skala bzw. des Akkordes ist. Und über die Ohren sollte man das Erlernen von Skalen unbedingt angehen, denn beim Improvisieren haben wir keine Zeit uns kognitiv und analytisch den harmonischen Gegebenheiten zu nähern, das muss unmittelbar aus dem Bauch heraus funktionieren. Was es zu üben und dabei zu verinnerlichen gilt.

Ich wage jetzt mal eine Aufteilung der in den beiden ersten Theorie-Teilen vorgestellten Skalen in für modales Spiel relevante und solche, die eher in funktionsharmonischen Zusammenhängen eine Rolle spielen. Ein paar Skalen sind für beide Bereiche geeignet.
Anm.: hier mag der eine oder andere Einspruch erheben wollen; natürlich kann man grundsätzlich alle Skalen modal spielen und üben, aber dies ist eine didaktische Veranstaltung. Es geht darum, sich behutsam dieser Praxis zu nähern, schnell kleine Erfolge zu erzielen und nicht etwa den Fehler zu begehen, mit tendenziell dissonanten und schwierig zu hörenden Skalen wie Melodisch Moll VII. Stufe zu beginnen.

Beliebte Skalen für modales Spiel
- Alle Beispiele in der Tonart E -

aus dem tonalen Raum der Durtonleiter („Ionisches System“) gewinnen wir

Für E(maj7) Ionisch, Lydisch
Für E(7) Mixolydisch
Für Em Dorisch, Phrygisch, Äolisch
Lokrisch fehlt in dieser Aufstellung aus oben genanntem Grund der eher dissonanten Struktur und weil sie eher in einem funktionsharmonischen Zusammenhang (II - V - I in Moll) gebräuchlich ist.

aus dem tonalen Raum von Harmonisch Moll

- - - - - - - - nichts, niente, nada :aah:

aus dem tonalen Raum von Melodisch Moll

für Em (maj7) Melodisch Moll
für für Em(7) dorisch b9
für Emaj7 #5 lydian augmented
für E7 Mixo #11, Mixo b13

Lokrisch 9 und Alteriert fehlen in dieser Aufstellung, weil auch sie eher in einem funktionsharmonischen Zusammenhang gebräuchlich sind.

Die HalbtonGanztonleiter würde ich modal über E7 vorschlagen (vorallem E7#9!!). Eine willkommene Abwechslung zur Bluestonleiter.

Die Ganztonleiter findet sich wiederum fast ausschliesslich in der Funktionsharmonik wieder.
Anm.: mit solchen dissonanten Skalen "outside" zu gehen, wie es mit der Ganztonleiter z.B. Kurt Rosenwinkel öfters macht, ist ebenfalls Funktionsharmonik, denn "outside" ist oft nichts anderes als das Spielen von Changes, die garnicht in der Begleitung erklingen.

In erster Linie geht es darum, die noch unbekannten Skalen ins Gehör zu bringen und dann nach einer Weile zu beurteilen, ob die Skala gefällt oder nicht. Ich hab die Erfahrung gemacht, daß man nicht zu schnell damit sein sollte, eine Skala, bloß weil sie anfangs schräg klingt wieder zu verwerfen.

Im übrigen müssen sich wie gesagt modale Übungssequenzen oder modale Stücke nicht auf einen Akkord beschränken.
Z.B. Dm7 - G7 (z.B. Oye como va/Tito Puente) als Akkordfolge würde ich auch als modal ansehen
(wenn man über Dm7 dorisch spielt und über G7 Mixolydisch, kann man ja im gleichen Fingersatz bleiben),
genauso wie 4 Takte Dm7 - 4 Takte Cm7 zum Beispiel. Es geht darum über einen längeren Zeitraum ( 4 Takte ca.) auf einem Akkord bleiben zu können.

Wer die Möglichkeit hat, sich mittels Rechner und Sequenzersoftware Backings zu basteln, sollte dies tun; genauso gut geht aber auch die oben beschriebene Methode mit der (tiefen) E- oder A- Saite. Natürlich kann man statt der bloßen Bassaite auch das Solospiel unerbrechen und den ganzen jeweiligen Akkord zum Erklingen bringen, um dem Ohr die unter Umständen neuen Töne besser schmackhaft zu machen.

Eine weitere Methode, Skalen ins Gehör zu bringen ist die, mittels dem Spielen von Dreiklängen (ich meine jetzt nicht nur Dreiklangsarpeggien) zu einem feststehenden Grundton die Skala „hören“ zu lernen. Und das geht so:

Theoretischer Hintergrund: jede Skala hat einen Grundton.
Hat man diesen Grundton erst einmal identifiziert, bildet man die 3 Durdreiklänge Tonika (I.Stufe), Subdominante (IV. Stufe) und Dominante (V.Stufe) von dieser Grundstufe aus. Alle drei Dreiklänge beinhalten Teile der gesamten Tonleiter, „übereinander gelegt“ bilden sie alle Töne einer Tonleiter ab. Spielt man nun abwechselnd diese Dreiklänge zu dem Grundton der Skala die man üben will, hört man die Skala „in Akkorden“ ausgeformt. Das ist eine ergänzende Methode zum Üben der verschiedenen Skalen“Sounds“.

Ein Beispiel:
Ich möchte E dorisch üben. E-dorisch steht auf der zweiten Stufe von D-Dur (D Ionisch).
Die Tonika (I.Stufe) lautet also D dur, die Subdominante (IV. Stufe) lautet G und die Dominante (V. Stufe) lautet A Dur. Spielt man nun abwechselnd einen D, G und A Dreiklang MIT E IM BASS, hört man E dorisch in Dreiklängen.
Die gleiche Methode funktioniert auch mit Molldreiklängen, dann nimmt man halt die drei Mollstufen II., III. und VI. Stufe und macht mit denen das Gleiche wie mit den Durdreiklängen.

Als Beispiel E Lydisch:
E lyd. steht auf der IV. Stufe von B Dur.
II. Stufe von B Ion ist C#m, III. Stufe D#m und VI. Stufe ist G#m
Also C#m, D#m und G#m abwechselnd mit E im Bass zupfen == Lydisch
(das gleiche mit den Durdreiklängen: B, E, F#)

Ein Vorteil dieser Methode: man übt gleichzeitig auch Dur- und Molldreiklangsumkehrungen auf dem Griffbrett in verschiedenen Lagen.

Ich denke, daß dieses modale Üben z.B. für spontanen Jams, Sessions und dem Spielen mit D.J.‘s viel bringt, denn gerade in diesen Situationen ja meistens über relativ statische Akkord“wechsel“ improvisiert.

Einfach mal die verschiedenen Möglichkeiten in Ruhe ausprobieren und nicht gleich verzagen, wenns mit der Herleitung der Skalen am Anfang nicht so schnell klappt. Und immer die „besonderen“ die jeweilige Skala identifizierenden Töne im Ohr und vor dem inneren Auge behalten, die ich in den ersten beiden Teilen herausgestellt habe.

Beispiele für modale Songs, bei denen man mal in Verlegenheit kommen könnte, ein Solo zu versuchen:
Steely Dan - Do it again (zumindest die Strophe)
Santana - Oye como va
Doobie Brothers - Long Train running
Miles Davis - So What

uva.

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