Basics

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Cat Carlo
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Re: Basics

Beitragvon Cat Carlo » So 1. Apr 2012, 11:42

Gamma hat geschrieben:Na ja, ich finde im Bereich der Sprache ist das geschriebene Wort ganz klar das Mass aller Dinge! Im Bereich der Musik ist das aber glaube ich umgekehrt! Die Notation ist dazu da, das was da ist reproduzierbar zu machen!
Just my Chat/Spam/Silly-Talk!


Nein, es ist das gleiche. Wenn ich ein Buch lese, dann übe ich das nicht vorher, sondern fange einfach an, die Geschichte zu konsumieren. Beim Notenlesen ist es das gleiche. Wenn ich lesen kann! Und nicht nur buchstabieren wie ein Analphabet. Beim Klavier kommt man dabei auch mit 2 unterschiedlichen Notenschlüsseln gleichzeitig klar. Es soll sogar Pianisten geben, die können "vom Blatt" sofort in einer anderen Tonart spielen.

Zu den Tabs: Ich halte nix von der Diskussion Tabs oder Noten. Tabs sind eine Ergänzung für Instrumente, bei denen es mehrere Möglichkeiten zur Ausführung der Notation gibt und eine eindeutige Festlegung wünschenswert ist. Also Tabs + Noten. Was ja auch die meisten Tabulator-Programme bieten.

Gruß vom Kater

Tom

Re: Basics

Beitragvon Tom » So 1. Apr 2012, 12:11

Wenn ich mit der Tradition brechen will, bin ich dabei immer noch der Tradition verhaftet, indem ich das, was ich da tue ja auf die Tradition (die ich breche) beziehe.

Oder: die revolutionärsten Kinder sind immer die angepasstesten.

Oder: Schönberg bediente sich auch in der Dodekaphonie immer noch der gestalterischen Mittel, die in der Romantik entwickelt wurden (z.B. die entwickelnde Variation bei Brahms). Schönbergs Dodekaphonie war eine Kopfgeburt; geboren aus dem Wunsch, die Musik aus einer Rückschau in einer historisch notwendigen Konsequenz weiterzuentwickeln; die Dodekaphonie hat sich nicht aus der Dissonanz entwickelt, sondern sie hat diese - so meine Vermutung - eher in Kauf genommen.
Erst Anton Webern hat die Moderne (im Sinne des Serialismus und folgender Stile) eingeleitet.

Oder eben: Ein Notenbild, daß versucht, die Moll/Durtonalität weitestgehend zu verlassen (im Jazz, in der Vorkriegs-Moderne, bei Bach usw.), ist kompliziert, weil unsere westliche Notenschreibweise die Dur-Molltonalität in C als feststehenden Wert eingebaut hat.

usw.

Das ist alles ist weder gut oder schlecht; ich wollte nur darauf hinweisen.

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Matt 66
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Re: Basics

Beitragvon Matt 66 » So 1. Apr 2012, 16:23

raana3800+ hat geschrieben:Und, obwohl ich sein entsprechendes Büchlein auch hier irgendwo rumschwirren habe, könnte der Admin mal bitte etwas mehr zur Entwicklung der Mehrstimmigkeit schreiben. Ich kann nur in Zügen erahnen, was da so vor sich ging, finde es aber sehr spannend.


Oh... das erinnert mich daran, dass ich dem Mann aus Münster ja noch ein Exemplar schicken wollte. Als Dank für seine kompetente Rezension damals. Ist jetzt aber wohl zu spät dafür...

Also, nachdem Du das Ding ja nun hast, musst Du`s halt auch lesen. Und nicht nur die Bildchen angucken. :tongue:
Ich kann mich hier sonst auch nur wiederholen. Aber dafür fehlt mir die Zeit und Muse. (und das entsprechend vorgebildete Publikum... :twisted: ). Das ist halt ein sehr umfassendes Thema, das man nicht mal eben in nem Forumsbeitrag abhandeln kann.

In Stichpunkten nur kurz folgendes:

- wir sind auf die überlieferten Quellen angewiesen. Es gibt leider keine Aufnahmen aus der Zeit. Und Zeitgenossen befragen scheidet auch aus... Wenn man jetzt bedenkt, dass 1. nur wenige Schriftdokumente überhaupt erhalten geblieben sind, 2. nur an den Klöstern überhaupt Leute waren, die lesen und schreiben - und theoretisieren - konnten, 3. der Notendruck und die kommerzielle Vermarktung erst einige Jahrhunderte später einsetzte, ist klar, dass man versuchen muss, aus verschiedenen Puzzleteilen ein geschlossenes Bild zu rekonstruieren.

- Mehrstimmige Musikpraxis war demnach ursprünglich improvisiertes Parallelsingen in Quarten und Quinten. Terzen und Sexten waren ursprünglich keine Konsonanzen (das muss man sich mal wirklich vorstellen!).

- Irgendwann wurden die Gesänge so komplex, dass man sie notieren musste. Zweistimmigkeit war lange Zeit das Maß der Dinge. Später gibt es auch Quellen mit Dreistimmigkeit.

- Terzen und Sexten wurden im Laufe der Zeit als imperfekte Konsonanzen empfunden. Grundsätzlich geht es aber immer noch um gesonderte Stimmen. Polyphonie!

- um 1600 rum, mit Beginn des Barock wurden dann erst die harmonischen, also vertikalen Beziehungen der Stimmen besonders beachtet. Es gibt bei Lasso u.a. schon streng homophone Passagen innerhalb der nach wie vor vorherrschenden Polyphonie. Stichwort Figurenlehre.

- seit dem Barock haben wir - vereinfacht gesagt - erst unser Melodie plus Akkordbegleitung Ding (Stichwort Monodie), das wir bis heute brav durchziehen. (der Hias träumt immer wieder von polyphoner Rock und Popmusik. Aber es will sich keiner da rantrauen...)

- grundsätzlich: nur die Gelehrten liefern die Quellen. Die meisten Quellen aus der Frühzeit sind Traktate über Musiktheorie, weniger Sammlungen von Kompositionen. Die Entwicklung der Mehrstimmigkeit ist eine "Kopfsache". Sie entwickelte sich durch das Denken, nicht aus dem Bauch heraus. Sie entstand quasi auf dem Papier. Und daher ist die Notenschrift als solche natürlich ein wesentlicher Faktor.


Kann da gerne noch mehr erzählen, aber dann bräuchte ich konkretere Fragen.

tortitch

Re: Basics

Beitragvon tortitch » So 1. Apr 2012, 23:39

Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, frage ich mich, wie eigentlich homophon und polyphon voneinander abzugrenzen sind.

Tom

Re: Basics

Beitragvon Tom » Mo 2. Apr 2012, 08:23

Meiner Meinung nach durch die unterschiedliche Gewichtung der die Musik im zeitlichen Ablauf entwickelnden Mittel.

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Reinhardt
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Re: Basics

Beitragvon Reinhardt » Mo 2. Apr 2012, 10:35

Matt 66 hat geschrieben:
In Stichpunkten nur kurz folgendes:

- wir sind auf die überlieferten Quellen angewiesen. Es gibt leider keine Aufnahmen aus der Zeit. Und Zeitgenossen befragen scheidet auch aus... Wenn man jetzt bedenkt, dass 1. nur wenige Schriftdokumente überhaupt erhalten geblieben sind, 2. nur an den Klöstern überhaupt Leute waren, die lesen und schreiben - und theoretisieren - konnten, 3. der Notendruck und die kommerzielle Vermarktung erst einige Jahrhunderte später einsetzte, ist klar, dass man versuchen muss, aus verschiedenen Puzzleteilen ein geschlossenes Bild zu rekonstruieren.

- Mehrstimmige Musikpraxis war demnach ursprünglich improvisiertes Parallelsingen in Quarten und Quinten. Terzen und Sexten waren ursprünglich keine Konsonanzen (das muss man sich mal wirklich vorstellen!).


Kann da gerne noch mehr erzählen, aber dann bräuchte ich konkretere Fragen.



Also es war keinesfalls die Absicht, irgendjemandes Kompetenzen in Frage zu stellen, da wäre ich ja schön blöd und hätte mir so ziemlich den Falschesten dafür ausgesucht.
Mein Ansatz ist doch folgender:
Ein Schriftsystem bzw. Dokumentations- und Archivierungsdatencodex (und darum handelt es sich ja hier), welcher für die menschliche Stimme entwickelt wurde und seit einer Zeit de facto unverändert verwendet wird, als etwa 90 % unserer heutigen Instrumente noch gar nicht in entsprechender Form entwickelt war, KANN im status quo gar nicht die optimale Möglichkeit der Darstellung bieten.
Der Entwicklungsstillstand (mal abgesehen von irgendwelchen Sonderzeichen für Progressivklassiker und Jeff Beck) spricht höchstens für ausgeprägten Traditionalismus gepaart mit Plastizität bzw. Anpassungsfähigkeit menschlicher Lernprozesse in nichtoptimalen Umgebungen, oder?
"Auf dem Bock hat scho mei Großvadder s' Radln glernt, dann machst des jetzt gfälligst a, so falsch wor des ned!"

Tom

Re: Basics

Beitragvon Tom » Mo 2. Apr 2012, 11:27

Lieber Matt,

befindet sich in deiner Wahrnehmung ein Keim, bei dessen Hege und Pflege du dir vorstellen könntest, im Hinblick auf die Entwicklung von Notenschreibweise, Bildung von Musiktheorien und musikalischer Hermeneutik eine kritische Position einzunehmen?

Oder geht es dir um das möglichst wertfreie Beschreiben der geschichtlichen Vorgänge?

dein Kollege Tom

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blueelement
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Re: Basics

Beitragvon blueelement » Mo 2. Apr 2012, 11:47

Multitone hat geschrieben:
"Auf dem Bock hat scho mei Großvadder s' Radln glernt, dann machst des jetzt gfälligst a, so falsch wor des ned!"


ich habe großteils Musik nur mit Radio und Casettenrecorder gelernt, war auch ned so falsch
:-)

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Matt 66
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Re: Basics

Beitragvon Matt 66 » Mo 2. Apr 2012, 12:40

@Multitone: Ich verstehe schon was Du meinst. Aber die Geschichte ist nun mal so verlaufen. Dass das jetzt für alle Ewigkeit so bleiben muss, sagt ja niemand. Wenn man sich mal anschaut, dass der Klassiksektor mehr und mehr schrumpft und durch das Internet die Tabs-Schreibweise sehr populär wurde (es gab sie schon vorher, klar!), ist es durchaus denkbar, dass in ein paar Generationen alles ganz anders aussieht. Die Notenschrift macht aber für mich schon einen Sinn, denn letztlich muss man ja verschiedene Details wie Takt, Tonart, rhythmischer Verlauf, Dynamik, Akzentuierung usw. irgendwie schriftlich festhalten. Ob andere Systeme dann so viel übersichtlicher würden... Hab da meine Bedenken...

Hat alles letztlich auch mit der praktizierten Musik zu tun. Wenn in 100 Jahren kein Mensch mehr Geige lernen will, die Klassiche Musik niemand mehr hören will und alle nur noch mit elektronischen Geräten Musik machen, könnte ich mir schon vorstellen, dass die schriftliche Fixierung - so sie dann überhaupt noch erwünscht oder notwendig ist - anders aussieht als heute. Auch hier brauchen wir ja nur in die vergangenen Jahrhunderte schauen. Das sah damals ja auch anders aus als heute.


@Tom: Naja... momentan mache ich hier reinen Geschichtsunterricht. Klar!
Kritisch hinterfragen kann man natürlich viel. Aber manche Dinge sind halt nunmal so wie sie sind. Ich mache mir auch keine Gedanken darüber, warum man für Ampeln die Farben Grün und Rot ausgesucht hat und nicht Blau und Gelb. Was ich nur sagen kann: ich unterstütze natürliche (!) Entwicklungen über längere Zeiträume. Ich bin gegen aktives Eingreifen wie z.B. bei der Rechtschreibreform. Für mich ist die heutige Notation einfach das Ergebnis eines langen Prozesses. Und jeder, der die Führerscheinprüfung besteht, sollte auch damit klarkommen die Notenschrift zu erlernen.

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Re: Basics

Beitragvon Mr Knowitall » Mo 2. Apr 2012, 13:04

Ich muss immer lachen, wenn jemand betont, er könne keine Noten lesen, als wäre das irgendeine Geheimsprache. Die Notenschrift lernt doch selbst ein Depp auf eine halbe Stunde.
Das Schwierige ist das sofortige Umsetzen der Rhythmik im Blattspiel. Ich hab das aufgegeben...
Zuletzt geändert von Mr Knowitall am Mo 2. Apr 2012, 13:39, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Basics

Beitragvon Matt 66 » Mo 2. Apr 2012, 13:26

Genau! Wie schon weiter oben erwähnt, ist das rhythmische ja das eigentlich schwierige. Und ich wüßte nicht, wie man das mit Tabs besser lesbar hinkriegen sollte. Ganz im Gegenteil: diese optische Trennung zwischen Tonhöhe (also Bundangabe) und zeitlichem Verlauf ist doch eher unübersichtlich. Davon abgesehen, dass bei vielen Tab Sachen der Rhythmus überhaupt nicht erkennbar ist...

Schnabelrock

Re: Basics

Beitragvon Schnabelrock » Mo 2. Apr 2012, 13:33

Sind das noch Basics? :shock:

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Matt 66
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Re: Basics

Beitragvon Matt 66 » Mo 2. Apr 2012, 13:44

Der Tom hat aber angefangen! :-(


Hier mal ein alternativer Versuch:

http://www.customcranks.de/musika/Notation/index.html


Gleich viel übersichtlicher, oder...? :dizzy:

Josef K

Re: Basics

Beitragvon Josef K » Mo 2. Apr 2012, 14:24

Matt 66 hat geschrieben: Ich bin gegen aktives Eingreifen wie z.B. bei der Rechtschreibreform.


Ein sehr anschauliches Beispiel!

selmar

Re: Basics

Beitragvon selmar » So 8. Apr 2012, 20:00

ich check einfach nicht, um was hier geht.

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Reinhardt
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Re: Basics

Beitragvon Reinhardt » Di 5. Jun 2012, 14:46

Matt 66 hat geschrieben:Genau! Wie schon weiter oben erwähnt, ist das rhythmische ja das eigentlich schwierige. Und ich wüßte nicht, wie man das mit Tabs besser lesbar hinkriegen sollte. Ganz im Gegenteil: diese optische Trennung zwischen Tonhöhe (also Bundangabe) und zeitlichem Verlauf ist doch eher unübersichtlich. Davon abgesehen, dass bei vielen Tab Sachen der Rhythmus überhaupt nicht erkennbar ist...


Bei der Rhythmik stimme ich aucn voll zu, aber das ist ein prinzipielles Problem bei der rein schriftlichen Weitergabe von motorischem Kulturgut. Man lernt Turnen auch nur schlecht aus dem Buch. ;-)

Mir fällt übrigens in diesem Zusammenhang ein, dass Akkordeonisten respektive Ziehharmonikaspieler (insbesondere steirischer Form) faktisch nie nach Noten spielen, sondern jede Bauform und dabei sogar noch für bestimmte Tonarten eigene hmm nennen wir es Tabulaturen hat. Diese Harmonikaschulen konkurrieren teilweise sogar mit widersprüchlichen Symbolen untereinander.
Eine Instrumentengruppe, die vom Prinzip "vormachen-nachmachen" lebt. Ich glaube, dass Harmonikaspieler mit Notenkenntnissen daher eher die Ausnahme als die Regel sind, ähnlich wie Gitarristen, wobei im Gegensatz zu diesen das Liedgut ja doch eher traditionell ausgerichtet ist. Notationsschwäche liegt also nicht nur am Rock'n'Roll.


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