raana3800+ hat geschrieben:Und, obwohl ich sein entsprechendes Büchlein auch hier irgendwo rumschwirren habe, könnte der Admin mal bitte etwas mehr zur Entwicklung der Mehrstimmigkeit schreiben. Ich kann nur in Zügen erahnen, was da so vor sich ging, finde es aber sehr spannend.
Oh... das erinnert mich daran, dass ich dem Mann aus Münster ja noch ein Exemplar schicken wollte. Als Dank für seine kompetente Rezension damals. Ist jetzt aber wohl zu spät dafür...
Also, nachdem Du das Ding ja nun hast, musst Du`s halt auch lesen. Und nicht nur die Bildchen angucken.
Ich kann mich hier sonst auch nur wiederholen. Aber dafür fehlt mir die Zeit und Muse. (und das entsprechend vorgebildete Publikum...

). Das ist halt ein sehr umfassendes Thema, das man nicht mal eben in nem Forumsbeitrag abhandeln kann.
In Stichpunkten nur kurz folgendes:
- wir sind auf die überlieferten Quellen angewiesen. Es gibt leider keine Aufnahmen aus der Zeit. Und Zeitgenossen befragen scheidet auch aus... Wenn man jetzt bedenkt, dass 1. nur wenige Schriftdokumente überhaupt erhalten geblieben sind, 2. nur an den Klöstern überhaupt Leute waren, die lesen und schreiben - und theoretisieren - konnten, 3. der Notendruck und die kommerzielle Vermarktung erst einige Jahrhunderte später einsetzte, ist klar, dass man versuchen muss, aus verschiedenen Puzzleteilen ein geschlossenes Bild zu rekonstruieren.
- Mehrstimmige Musikpraxis war demnach ursprünglich improvisiertes Parallelsingen in Quarten und Quinten. Terzen und Sexten waren ursprünglich keine Konsonanzen (das muss man sich mal wirklich vorstellen!).
- Irgendwann wurden die Gesänge so komplex, dass man sie notieren musste. Zweistimmigkeit war lange Zeit das Maß der Dinge. Später gibt es auch Quellen mit Dreistimmigkeit.
- Terzen und Sexten wurden im Laufe der Zeit als imperfekte Konsonanzen empfunden. Grundsätzlich geht es aber immer noch um gesonderte Stimmen. Polyphonie!
- um 1600 rum, mit Beginn des Barock wurden dann erst die harmonischen, also vertikalen Beziehungen der Stimmen besonders beachtet. Es gibt bei Lasso u.a. schon streng homophone Passagen innerhalb der nach wie vor vorherrschenden Polyphonie. Stichwort Figurenlehre.
- seit dem Barock haben wir - vereinfacht gesagt - erst unser Melodie plus Akkordbegleitung Ding (Stichwort Monodie), das wir bis heute brav durchziehen. (der Hias träumt immer wieder von polyphoner Rock und Popmusik. Aber es will sich keiner da rantrauen...)
- grundsätzlich: nur die Gelehrten liefern die Quellen. Die meisten Quellen aus der Frühzeit sind Traktate über Musiktheorie, weniger Sammlungen von Kompositionen. Die Entwicklung der Mehrstimmigkeit ist eine "Kopfsache". Sie entwickelte sich durch das Denken, nicht aus dem Bauch heraus. Sie entstand quasi auf dem Papier. Und daher ist die Notenschrift als solche natürlich ein wesentlicher Faktor.
Kann da gerne noch mehr erzählen, aber dann bräuchte ich konkretere Fragen.