Autotune Missbrauch

fn2

Autotune Missbrauch

Beitragvon fn2 » Sa 5. Feb 2011, 19:28

Hallo,


Zur Zeit nehmen wir bei mir eine CD mit meiner Rockband auf (einen Ausschnitt gab es schon hier im Forum zu hören).
Wir nehmen gerade den Gesang auf. Die Sängerin kann sehr gut singen und trifft fast jeden Ton genau.
Wenn mal ein Ton schief ist, überlegen wir, ob wir
1. nur den Ton noch mal neu aufnehmen
2. die gesamte Strophe noch mal neu, woraus aus den besten Teilen eine Strophe zusammengeschnitten wird
3. ein schiefer Ton wird manuell nach oben oder unten korrigiert
Meistens entscheidet sich die Band für die zweite Version, wonach die ganze Arbeit an mir hängen bleibt. Der Gesang wird eingeträllert und dann heißt es "mach mal". :wallbash:

Die 4. Möglichkeit, das pitch correction plugin zu nehmen, kommt für uns nicht in Frage, weil das unnatürlich klingt. Es geht im Prinzip nur um wenige Töne im Song, da macht es keinen Sinn, mit der groben Sense drüber zu gehen. Das würde man nur bei einem Sänger machen, der überhaupt keinen Ton trifft. Der Gesang bei uns ist aber so gut, dass man mit dem pitch Programm mehr verschlechtert als verbessert.

Das aus der Sicht des Laien. Professionelle Produzenten sind da anderer Meinung. Beispiel:
Ich habe heute Bruno Mars "Just The Way You Are" transkribiert. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Gesangsslides exakt die Halbtonschritte treffen. Dadurch bekommt der Song einen ziemlich progressiven touch. :laughter: Was sagt uns das:

1. Obwohl Bruno Mars sicherlich singen kann, wird trotzdem noch mal Autotune drübergebügelt, obwohl das bestimmt nicht nötig gewesen wäre.
2. Der Produzent weiß nicht, in welcher Tonart das Stück steht, er hat einfach "alle Halbtonschritte" (default Einstellung) eingegeben.
3. Der Produzent hat sich nicht die Mühe gemacht, sich alle Töne einzeln anzuhören und auf schräge Halbtonschritt slides zu prüfen.

Nein, ich vermute eher, dass er die Fehler im Autotune gehört hat, aber keinen Nerv hatte, die Sache manuell zu korrigieren. Das sind halt Profis, die mit möglichst wenig Zeitaufwand viel Geld verdienen wollen.

Damit ist auch meine Frage beantwortet, die ich mir immer stelle, wenn ich hier stundenlang sitze und jede Silbe in versch. Versionen anhöre und zurechtschneide. Würde ich das professionell machen, hätte ich die Zeit nicht. Dafür würde sich Bruno Mars besser anhören, wenn ich ihn produziert hätte. Ob sich das dann verkauft, ist eine andere Geschichte.

Han Solo

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Han Solo » Sa 5. Feb 2011, 21:01

Ein vernünftiges Autotune-Programm klingt nicht unnatürlich, wenn man es richtig einstellt.

fn2

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon fn2 » So 6. Feb 2011, 03:58

Mag ja sein. Jetzt ist halt die Frage, warum die professionellen Produzenten sich nicht die Zeit dafür nehmen.
Oder das nicht hören können. Das heißt, sie erzählen überall herum "mein Programm klingt nicht unnatürlich." obwohl es scheiße klingt.

Tom

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Tom » So 6. Feb 2011, 13:22

Es wird mal so, mal so sein.
Dieses artifizielle (was du mit sicherem Gespür als Scheisse - oder heißt es Scheiße? - bezeichnest) kann von anderen Gruppen unserer Weltbevölkerung auch als "ästhetisch" genossen werden. Zum Einen.

zum anderen:

ich würde die Performance einer Gesangsspur nur geringfügig von der Pitch her bewerten.
Zum Beispiel David Bowie; vielleicht 10 % Pitch-Correctness, dafür 90 % Ausdruck = 100% Performance.
Klar wenns stört (weils falsch ist, und das ist es dann, wenns ungewollt passiert) muss man was machen, wenn aber der Take in sich stimmt, lieber "Fehler" in Kauf nehmen - die Gesamtheit wirkt immer stärker als das Einzelereignis.

Das mit der fehlenden Pitch Tightness funktioniert natürlich nur durch den Ausdruck; der umgekehrte Weg wäre eine slackerhafte Indie Behauptung (es ist ausdrucksstark, WEIL es nicht korrekt gesungen ist).

Aber ich weiß selbst gut, die Versuchung des Autotunens ist groß.

Der sanfte Ribot

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Der sanfte Ribot » So 6. Feb 2011, 14:40

Typische Muckerherangehensweise, man schämt sich, zögert, kann das Ergebnis nicht beurteilen.

Einfach machen, stark einsetzen! klingt oft cool, oder weglassen, oder unhörbar manipulieren.

Zu Bowie:
Hat mit den Slacker Pavement tausendmal mehr zu tun als mit Bröner.......

Man kann slackerhaft singen oder wie der drollige, kleine, leicht nervige R2D2 (Wayne Krantz) Gitarre spielen...........vom Konzept gleichwertig.

Gruß
Kai

fn2

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon fn2 » So 6. Feb 2011, 15:04

Richtig, richtig! Deswegen kann ich mit den modernen, absolut perfekten Produktionen nichts anfangen.
Die alten Sachen mit den vielen Ungenauigkeiten machen den Blues.

Will man aber eine perfekte Produktion, ist es nicht so sehr entscheidend, dass man die richtigen Regler am millionenschweren Equipment bedient, sondern man braucht ein sehr feines Gehör. Und das fehlt.
Die professionellen Produzenten sollten sich in jeder Sekunde darüber im Klaren sein, dass sie mit Musikern zusammenarbeiten, die die Töne viel feiner hören können als sie selber. Da sollte man dem Sänger vertrauen (in diesem Fall Bruno Mars) und die Stimme so natur belassen anstatt zu verschlimmbessern.

Es kann aber auch so gewesen sein, dass der Produzent mit der natürlichen Version zufrieden war, während Mars gesagt hat, dass er da Autotune drüberbügeln soll, weil er ein oder zwei Töne um 2 cent verpasst hat.
So läuft es in unser Band. :scratch:

Han Solo

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Han Solo » So 6. Feb 2011, 15:17

fn2 hat geschrieben:Mag ja sein. Jetzt ist halt die Frage, warum die professionellen Produzenten sich nicht die Zeit dafür nehmen.
Oder das nicht hören können. Das heißt, sie erzählen überall herum "mein Programm klingt nicht unnatürlich." obwohl es scheiße klingt.


Entweder haben sie keine Zeit, oder sie wollen, dass es so klingt, weil's "in" ist.

Wenn man ab und zu mal ein oder zwei Töne damit bearbeitet, die leicht daneben lagen, hört man es normalerweise nicht. Und die generelle Natürlichkeit bleibt gewahrt. So ist das am besten, finde ich.

Ist genau das Gleiche wie bei dem Loudnesswar. Da wird auch durch Kompression alles gleich gemacht, null Dynamik. Entweder man erstellt ein unnatürliches Fabrikprodukt, dann komprimiert man bis zum Umfallen und nutzt Autotune ohne Ende. Oder aber man macht Musik. Das bezieht sich jetzt auf "handgemachte" Musik. Als kreatives Element kann ein pumpender Kompressor oder der "Cher"-Effekt v.a. in elektronischer Musik ganz sinnvoll sein.

orben

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon orben » Mo 7. Feb 2011, 11:42

Tom hat geschrieben:
ich würde die Performance einer Gesangsspur nur geringfügig von der Pitch her bewerten.
Zum Beispiel David Bowie; vielleicht 10 % Pitch-Correctness, dafür 90 % Ausdruck = 100% Performance.
Klar wenns stört (weils falsch ist, und das ist es dann, wenns ungewollt passiert) muss man was machen, wenn aber der Take in sich stimmt, lieber "Fehler" in Kauf nehmen - die Gesamtheit wirkt immer stärker als das Einzelereignis.


:bravo:

ich finde im übrigen tendenziell auch, dass die musiker bei groben fehlern ganze takes neu aufnehmen sollten, nicht nur nen kleinen ausschnitt ("mach ma hier nochmal die zwei töne zu beginn des refrains").

buttrock

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon buttrock » Mo 7. Feb 2011, 13:54

schrecklich ist Autotune genau da, wos hoerbar als Stilmittel (immer noch) verwendet wird. Einmal, ok, hihihi ganz witzich, aber mittlerweile in gewissen Stilisken ueberstapaziert, die hier eh keine Sau jucken. Wenn Studiozeit limitiert und man die Sache damit runder hinkriegt, gerne.

Tom

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Tom » Mo 7. Feb 2011, 14:09

Der sanfte Ribot hat geschrieben:Zu Bowie:
Hat mit den Slacker Pavement tausendmal mehr zu tun als mit Bröner.......


weder noch. Von Brönner wie von Pavement Milchstraßen entfernt meiner Ansicht nach.
Brönner ist nicht bei sich und Pavement pubertieren.
Bowie ist bei sich.
Find ich halt.

buttrock

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon buttrock » Mo 7. Feb 2011, 14:38

Tom hat geschrieben:
Der sanfte Ribot hat geschrieben:Zu Bowie:
Hat mit den Slacker Pavement tausendmal mehr zu tun als mit Bröner.......


weder noch. Von Brönner wie von Pavement Milchstraßen entfernt meiner Ansicht nach.
Brönner ist nicht bei sich und Pavement pubertieren.
Bowie ist bei sich.
Find ich halt.

was guter Populaer-Musik wie man weiss nicht hinderlich ist

Tom

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Tom » Mo 7. Feb 2011, 15:53

mit Pubertieren meine ich im Hotel Mama fett in der Ecke sitzen, vor Gelangweiltheit sadistische Spiele spielen und alles bemeckern, weil man sich im Grunde selbst nicht leiden kann.

Empathiegestörte Flatratesäufer.

Gute Popmusik ist Revolution.

so.

buttrock

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon buttrock » Mo 7. Feb 2011, 16:04

richtige Revolutionaere haben keine Zeit fuer Popmusik. Die meisten politischen Aktivisten waren aesthetisch unter aller Sau und viele popkulturelle Entwicklungen haben sich aus Teenageangst gespeist, die letzlich aufgeblasene Langeweile war. Ist nicht schlimm, aber Revolution macht man nicht mit Gitarren

KennyXXL

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon KennyXXL » Mo 7. Feb 2011, 16:41

buttrock hat geschrieben:richtige Revolutionaere haben keine Zeit fuer Popmusik. Die meisten politischen Aktivisten waren aesthetisch unter aller Sau und viele popkulturelle Entwicklungen haben sich aus Teenageangst gespeist, die letzlich aufgeblasene Langeweile war. Ist nicht schlimm, aber Revolution macht man nicht mit Gitarren



Jo, genau so isset! Wir haben uns irgendwann schon mal zu einem ähnlichen Punkt auseinandergesetzt. Genauso hab' ich's damals glaube ich gemeint.....

buttrock

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon buttrock » Mo 7. Feb 2011, 16:43

weiss ich nimmer, war das schon "hier" :dontknow:

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Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Großmutter » Mo 7. Feb 2011, 16:43

...ich hab' jetzt keine Ahnung wie ihr so klingt, aber falls ihr tatsächlich eine "Rockband" seid, dann fällt die Nutzung von Autotune und ähnlich gelagerten Sperenzchen kategorisch aus!!! ;)

fn2

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon fn2 » Mo 7. Feb 2011, 22:27

Han Solo hat geschrieben:Wenn man ab und zu mal ein oder zwei Töne damit bearbeitet, die leicht daneben lagen, hört man es normalerweise nicht. Und die generelle Natürlichkeit bleibt gewahrt. So ist das am besten, finde ich.
Stimmt, dann ist es aber nicht Autotune. Autotune heißt Stimmhöhenkorrektur in Echtzeit, sonst würde es ja "Manualtune" heißen, wenn man jeden Ton noch einzeln bearbeiten müsste. Letztere Version wird von mir bevorzugt, ist aber extrem arbeitsintensiv.
Weil diese Methode so arbeitsintensiv ist, bezweifle ich, dass sie von Profis eingesetzt wird.

Was ich sagen will: welche Methode die beste ist, darin sind wir uns sicherlich einig.
Autotune ist ein Hilfsmittel, das ausschließlich von sackfaulen, geldgeilen Profis eingesetzt wird. Ein ernstzunehmender Musiker würde die Software nicht benutzen.

Tom

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Tom » Di 8. Feb 2011, 07:54

fn2 hat geschrieben:Weil diese Methode so arbeitsintensiv ist, bezweifle ich, dass sie von Profis eingesetzt wird.

Wenn du's als Profi dauernd machst, ist es garnicht mehr so arbeitsintensiv.
z.B. die Stellen schneiden in eine zweite Spur mit identischen Settings kopieren und nur auf dieser Spur den Autotune benutzen.
Knackser mit Fades und Crossfades eliminieren oder entsprechende Software benutzen.
fn2 hat geschrieben:Ein ernstzunehmender Musiker würde die Software nicht benutzen.

Schonmal Melodyne probiert?
Oder Logic 9?

KennyXXL

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon KennyXXL » Di 15. Feb 2011, 16:49

buttrock hat geschrieben:weiss ich nimmer, war das schon "hier" :dontknow:


Jo, aber bin auch gerade zu faul zum suchen. Ist auch schnuppe, wollte Dir hauptsächlich zustimmen und die Formulierung mit Teenage Angst mental notieren.

Schnabelrock

Re: Autotune Missbrauch

Beitragvon Schnabelrock » Di 15. Feb 2011, 18:28

Der sanfte Ribot hat geschrieben:Typische Muckerherangehensweise, man schämt sich, zögert, kann das Ergebnis nicht beurteilen.

Einfach machen, stark einsetzen! klingt oft cool, oder weglassen



Exakt. Aus einem verzagten Arsch kommt niemals ein fröhlicher Furz. Ob Bruno Mars nun "richtig" singen kann oder ob das "richtig" oder "falsch" gepitcht oder sonstwas ist ... keine Ahnung. Jedenfalls klingt es!


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